2019: „Vision: Künstliche Intelligenz“
Blickt man auf die letzten Jahrhunderte, dann scheint jeder größere technische Innovationsschub von kollektiven und individuellen Ängsten, aber auch von großen Hoffnungen begleitet zu sein. Die großen Entwicklungssprünge der Menschheit sind nicht ohne den Blick auf die vielen Einzelschicksale zu bewerten, die sie mit sich bringen. Kaum eine Innovation hat große Kreise vor Nachteilen verschont, denn technischer Fortschritt teilt mindestens alle die, die daran teilhaben von denen, die ausgeschlossen werden. Im letzten Jahrhundert waren die Mechanisierung und Automatisierung in der Arbeitswelt technische Revolutionen, die gesamte Gesellschaften umkrempelten und den wirtschaftlichen Unterschied zwischen ganzen Nationen, sogar Kontinenten, verschärften. Anfang dieses Jahrhunderts brachte die Digitalisierung ähnliche Effekte, die sich vom Arbeitsleben bis in die Privatsphäre erstreckten. Nun steht die Menschheit an der Schwelle einer neuen und unglaublichen Revolution, denn eine neue Instanz des Denkens zeigt sich am Horizont. Künstliche Intelligenz (abgekürzt K.I.) oder artificial intelligence (A.I.) ist nun in den Schlagzeilen angekommen. Was passiert, wenn Computer klüger werden als Menschen? Täglich überraschen uns neue Erfolgsmeldungenüber die Fähigkeiten von Computern und Softwares. Ganze Wissenschaftsbereiche erleben Erfolge ihrer Forschungen auf der Basis der „K.I.“, denn besonders dort, wo riesige Datenmengen vorhanden sind, können jetzt entsprechende Programme mit der Unterstützung schneller Rechner Auswertungen vornehmen und Prognosen erstellen. Die sogenannte „schwache“ K.I. ist in Wissenschaft und Wirtschaft längst im Alltag angekommen. Eine andere Dimension der Entwicklung liegt nahe: Was seit mehreren Jahrzehnten Thema engagierter Science-Fiction-Literatur und kommerzieller Filmproduktionen ist, beginnt nun Wirklichkeit zu werden. Computer haben angefangen, selbständig zu lernen und übertreffen die Leistung menschlicher Intelligenz, längst im Schach oder im Go-Spiel, jetzt auch in vielen Anwendungen von Bild- und Spracherkennung oder beim autonomen Fahren. Die dramatischen Effekte im sogenannten „Deep Learning“ beweisen, dass die Computer Leistungen erbringen, die vor Jahren nur von ein paar Optimisten vorhergesagt wurden. Allerdings stehen diese Fähigkeiten, z.B. zur Prognose von Spielzügen komplexer Spiele, immer noch im Zusammenhang mit statistischen Auswertungen aller berechenbaren Möglichkeiten und deren Auswirkungen auf das Spiel. Wir sehen in diesem Bereich auf die Verbesserung mathematisch gestützter Bewertungen der besten aus einer immensen Zahl von Variablen. Allerdings beginnen Computer in Netzwerken zu arbeiten und Informationen zu tauschen, so dass Effekte entstehen, die für die meisten Menschen nicht mehr durchschaubar sind. „Big Data“ erfasst die komplette Welt und alles, was da lebt, um die Wechselwirkungen zwischen allen diesen Variablen und Konstanten berechenbarer zu machen. Dies gilt nicht nur für Wettervorhersagen, sondern auch und insbesondere für die Berechenbarkeit der Menschen in ihren Aktionen und Reaktionen. Was vor vielen Jahren als vergleichsweise harmlose Marktforschung begann, hat sich in Verbindung mit der Konzeption computergetriebener neuronaler Netze zu weitreichenden Instrumenten entwickelt, die in die Hände derer, die sie beherrschen, beunruhigende Möglichkeiten legt. Wenn schon das Machtgefälle zwischen denen, die Computer nicht einmal benutzen und denen, die die Computernetze steuern, besorgniserregende Ausmaße erreicht, steht in der nächsten Stufe der Entwicklung an, dass diese Systeme, die schneller „lernen“ als Menschen, in unermüdlichen Kaskaden von Selbstverbesserungen Leistungszuwächse erreichen, die Zukunftsforscher träumen lassen – oder schaudern. Allein die Idee, aus diesen Entwicklungen könne in allzu naher Zukunft eine Art „Superintelligenz“ entstehen, die sich der Kontrolle der Menschheit entziehen könnte, treibt viele Berufene und Selbstberufene an, nach den Grenzen der sinnvollen Form der Entwicklung zu fragen. Forderungen nach einer „Computer-Ethik“ werden laut und die Frage, ob man Computer dazu anstiften solle, „Gefühle“ zu entwickeln, bringt manche Menschen in Rage. Einerlei, wie man sich diesen neuen Möglichkeiten stellen mag, bleiben einige Aspekte für die Arbeit der Studierenden auffallend. Vielen Beiträgen ist gemeinsam, dass die mitunter bizarren Sorgen mehr aus zurückliegenden Filmproduktionen gespeist zu sein scheinen als aus dem Stand der aktuellen Entwicklung, die, zum Glück noch immer, von angedeuteten Optionen entfernt ist. Ebenso fällt auf, dass in der Konfrontation mit der „Künstlichen Intelligenz“ die Frage nach der Qualität der natürlichen Intelligenz interessant wird. In dieser Konfrontation nimmt ein Verständnis für die besonderen Leistungen und Möglichkeiten der menschlichen Intelligenz zu, auch die Frage nach der Bildbarkeit derselben. Damit zieht eine skeptische, aber auch amüsierte Stimmung durch die Bilder der Studierenden. Weder ließen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projektes „Vision – Künstliche Intelligenz“ von den Prognosen zur „letzten Erfindung der Menschheit“ noch von den Euphorien zum „Ende der Dummheit“ blenden. Vielmehr definierten alle die eigenen Überlegungen in ihren Bildern und gaben dabei auch zu erkennen, aus welchen Informationen ihre Gedanken gespeist waren. Allen Teilnehmern wurde auch deutlich, dass die Vielfalt der im Internet kursierenden Vorstellungen eine sachlich glaubwürdige und nicht panisch wirkende Bewertung der „Künstlichen Intelligenz“ eher erschwerte. Technisch komplexen Informationen der Fachleute standen irrational wirkende Meinungen gegenüber, eine schlüssige Deutungshoheit war nicht greifbar. Selbst die Äußerungen hochrangiger Wissenschaftler aus den Reihen der modernsten Technologie-Konzerne zeichnen im Moment noch ein ambivalentes Bild der K.I. Abseits aller Ängste und Hoffnungen, die sich mit der K.I. verbinden, war sich die gesamte Gruppe einig bei dem Gedanken, dass die großen und abstrakten Fragen an das Mensch-Sein nicht von Software-Entwicklern oder Algorithmen gelöst werden können, sondern von jedem Einzelnen für sich und im Miteinander der friedlichen Gemeinschaft aller Menschen, wenn überhaupt. Wir wünschen unseren Freunden und Gästen viel Inspiration bei der Auseinandersetzung mit Visualisierungen der Ideen unserer Studierenden!